Gedanken zum 4. Ostersonntag
Im chinesischen und japanischen Zen-Buddhismus gibt es den Begriff des „Koan“, für ein aufs Erste unverständliche, paradoxe und sinnlos scheinendes Wort oder eine Geschichte, die eine tiefere Logik anspricht als unsere Alltagslogik.
Für mich ist das Wort vom guten Hirten und von der Jesus der Türe so ein Wort, das sich nur langsam erschließt. Der Bibeltext verwebt mehrere Bilder ineinander, die sehr ansprechen, die aber keiner einfachen Logik folgen. Wenn man sich auf sie einlässt, sind es aber wirkmächtige und tragende Worte, die uns verändern können.
Jesus sagt von sich einerseits, dass er die Türe ist, die Türe zum Stall, oder zur Weide, aber zugleich die Türe zu den Schafen, und dann wieder gleichzeitig ist er der Hirte, der seine Schafe kennt und die ihn kennen, die er führt und denen er vorgeht; und dann gibt es den Türhüter. Und es gibt die, die in den Schafstall hineingehen, es gibt den Hirten und es gibt die Diebe und Räuber, die die Schafe stehlen und für die eigenen Zwecke gebrauchen wollen, denen es nicht um die Schafe geht, sondern um den eigenen Vorteil.
3 Gedanken:
+ eine Tür ist ein Zugang, eine Öffnung, zugleich ist eine Türe auch ein Verschluss. Jesus ist die Tür heißt: Jesus Christus ist 1. der Zugang zur Weide, also zu Lebendigkeit, zu Lebensquellen, zu geistig seelischer und körperlicher Nahrung. 2. der Zugang zum Stall, also zu Ruhe und Schutz, 3. der Zugang zu den Schafen, also der Zugang zu Menschen, die Möglichkeit, mit Menschen in Berührung zu treten, die zu verstehen und zu beeinflussen. Zunächst ist es also einfach die Zusage und das Versprechen oder einfach die Behauptung, dass jemand, der auf Jesus Christus hört, wer sich von Jesus Christus im Denken und Tun beeinflussen, bestimmen und leiten lässt, Zugang zu Lebendigkeit, Ruhe und Zugang zu den Menschen finden wird. Das ist die christliche Grunderfahrung, die es immer wieder auszuprobieren gilt.
+ Zweimal ist die Rede von Dieben und Räubern, denen an den Schafen nichts liegt, und die kommen um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten. Jesus fordert zu einer kritischen und wachen Haltung auf. Es ist eine erschreckende Wirklichkeit, dass Hirten, also Führungsgestalten und Autoritäten, nicht das Interesse der anvertrauten Menschen, sondern nur den eigenen Nutzen im Blick haben. Für manche Hirten sind die Schafe nur Mittel zum Zweck. Wir kennen das in der Politik, bei Unternehmen, bei Wirtschaftsbetrieben und Institutionen, auch in Familien und Freundschaften. Aber wir kennen das auch in der Kirche: Die Missbrauchsfälle haben das erschreckend auch in der Kirche gezeigt, dass Menschen als Mittel verwendet wurden/ werden, und dass die Institution als Eigeninteresse (guter Ruf) höher gestellt wurde als die Betroffenen. Wir erleben gerade in Krisenzeiten, dass Informationen nicht im Interesse der Sache und der Menschen, sondern für den eigenen Vorteil genutzt und gespielt werden. Beruhigenderweise stellt Jesus fest, dass die Menschen schon ein Gespür haben, für die guten Hirten – aber was heißt das, wenn so viele Menschen der Kirche den Rücken kehren? Zugleich wissen wir auch, wie falsche Hirten Menschen beeinflussen und manipulieren können.
+ Wir brauchen gute Hirten und Hirtinnen. Das Bild von der Tür und vom guten Hirten erinnert daran, wie wichtig für alle menschlichen Institutionen und auch für die Kirche Menschen sind, die Zugänge eröffnen, die leiten, die zusammenhalten und den Weg vorgehen. Der Gute-Hirten-Sonntag ist ein Tag, an dem wir an die menschlichen Hirten in Kirche, Gesellschaft, Politik, Familie, Wirtschaft denken und für sie beten sollen. Es ist auch ein Tag des Gebetes um solche guten Hirten, um Türöffner und um eine Kultur in der Kirche, die Zugänge eröffnet. Zugleich ist es ein Tag, an dem jeder und jede sich auch fragen soll, wo sie und wo er schon Hirte ist und wo er oder sie sich für eine Leitungsverantwortung zur Verfügung stellen soll.